Na also, es geht doch – ‚The Joker‘

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Ich mag Comics. So einfach ist das. Was ich meistens nicht mag, sind Comicverfilmungen in den beliebten Superheldenuniversen von Marvel und DC. Bevor ich nun auf den aktuell im Kino laufenden ‚Joker‘ eingehen werde, ein paar Worte dazu, weshalb ich mit besagten Verfilmungen oftmals hadere, sie zuweilen sogar als beleidigend empfinde (Ausnahmen gibt es, und die sind dann auch gelungen). Das im Folgenden Geschriebene widerspiegelt allein meine Meinung, soll nicht als letzte und allgemeingültige Wahrheit betrachtet werden. Ich möchte keinem Fan auf den Schlips treten, aber ich fordere jeden heraus, seine Lieblinge einmal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Auch besteht kein Anspruch auf irgendeine Art von Vollständigkeit, denn über das Thema „Helden“ bzw. „Superhelden“ und ihre Erscheinungsformen in Kunst und Kultur könnte man problemlos mehrere Bücher füllen. Also los, packen wir die Sache an!

In beiden Erscheinungsformen (Comic und Film) geht es beim Thema Superhelden um Machtfantasien und Eskapismus, entweder zum Zweck der reinen Unterhaltung und weils Spaß macht oder als tatsächliche Realitätsflucht. Die Schwierigkeiten, die ich damit habe, liegen nicht beim Inhalt, sondern wie diesem Gestalt verliehen wird. Schon allein ihrer Form wegen weisen Comics eine klar ersichtliche Distanz zum realen Leben auf, dürfen daher auch mal absurd, ja sogar over the top sein und funktionieren trotzdem in ihren Aussagen ohne jemals belehrend zu wirken. Zwischen den rechteckigen Kästen mit ihren statischen, bunten Bildern existiert genügend Freiraum, in den der Leser seine eigenen Überlegungen zur erzählten Geschichte hineinprojizieren kann. Demgegenüber versuchen die Verfilmungen oft krampfhaft Gewinn daraus zu schlagen, dass sie dem Zuschauer suggerieren, die Handlung spiele in unserer tatsächlichen Welt. Eine durchdachte, in sich schlüssige Geschichte wird einer scheinheiligen und einfältigen Moralpredigt untergeordnet, die über soziale Missstände, furchtbare Kriege, Umweltzerstörung und natürlich auch Rassismus informieren will, und das im andauernden Kontrast zu den properen Superhelden in ihren auf Hochglanz polierten, hautengen Kostümen. Irritierend dabei ist, dass besagte formbetonende Kostümierung die weiblichen Superhelden (z.B. Wonder Woman oder Catwoman) in aller Regel als reine Fickfantasie darstellt. Wo bleibt da die Moral? Bei all dem wird das Geschehen mit einem bombastischen orchestralen Soundtrack und der omnipräsenten amerikanischen Flagge im Hintergrund des Bildes bis zum Erbrechen überbetont (besonders penetrant in Sam Raimis ‚Spiderman‘). Die Komplexität schwieriger Themen und das Denkvermögen des Zuschauers werden einfach ignoriert, jede Subtilität in die Tonne gekehrt. Daraus entsteht dann ein lächerlicher Pathos, dessen Ernst und angebliche Wichtigkeit mit der in Hollywood so beliebten Holzhammermethode in die Schädel der Zuschauer geprügelt wird. Dadurch entstehen in meinen Augen vor allem drei Dinge: Oberflächlichkeit, Lächerlichkeit und schließlich gähnende Langeweile.

Zu all dem gesellt sich eine simple schwarz-weiße Mentalität. Wenn man schon Aussagen zu schwerwiegenden Themen macht, dann braucht es Perspektiven und Kontraste, die dem Zuschauer ermöglichen, eigene Denkprozesse zu starten und mit den Informationen zu spielen. Jeder liebt das Spiel mit LEGO-Steinen … was findet ihr besser: ein LEGO-Modell aus hundert oder aus zwei Steinen? Superheldenfilme sind in ihrem Kern sehr oft simpelste LEGO-Modelle mit eben nur zwei Steinen. Es gibt den scheinbar guten Weg der Helden und den bösen der bärbeißigen, stets schlechtgelaunten Miesepeter – und dass die Guten am Ende auftrumpfen werden ist meist auch schon von Beginn an klar. In die selbe eindimensional gestrickte Kerbe schlägt der Entstehungsmythos von Helden und schlimmen Fingern. Die Guten bekommen eine Dosis Radioaktivität im Lutschbonbon serviert und werden über Nacht heilig gesprochen; bei den Bösen löst sich ein Nierenstein, der beim Pipi so richtig weh tut. Das macht sie dann so sauer, dass sie ihre Gesinnung wie einen alten Handschuh umdrehen und sogleich die Ermordung der Welt planen. Hin und wieder bekommen wir wenigstens Antihelden wie Batman, Wolverine oder den Punisher serviert, die mit ihrer persönlichen dunklen Seite im ständigen Kampf liegen, und siehe da, es wird schon interessanter weil vielschichtiger und nicht ganz so vorhersehbar.

Um die oben genannten Schwierigkeiten zu umgehen, gibt es eine grandiose Fähigkeit des Menschen: Selbstironie. Sobald Pathos, übertrieben große Gesten und moralisches Gehabe verulkt werden, eröffnen sich gänzlich neue Perspektiven, die einem Film (oder auch einem Buch oder Comic) eine komplett neue Dimension hinzufügen. Die Brechung von ausuferndem Ernst durch Humor erzeugt, so paradox das auch klingt, eine größere Glaubwürdigkeit von Figuren und Themen. Es liegt ganz einfach in der Natur der Dinge, dass auch im größten Schrecken noch etwas komisches steckt. Marvel hat das mit ‚Guardian of the Galaxy 1‘ und ‚Thor 3‘ bestens bewiesen. Die Charaktere dieser beiden Filme sind um so vieles ehrlicher und echter (daher auch greifbarer) als beispielsweise jene in ‚Avengers: Endgame‘, der in lächerlichem Pathos geradezu ertrinkt und einfach nur noch ermüdend lahm ist. Klar, gut gemacht ist ‚Endgame‘. Ein Feuerwerk an CGI-Effekten kann in der Tat für eine bunte Achterbahnfahrt sorgen. Aber wie das mit diesen Fahrten so ist … wenn sie vorbei sind, bleibt nichts zurück. Obwohl da mit großen Gesten die drohende Vernichtung der Menschheit angerührt wird, ist kein Fetzen Fleisch am Knochen.

Marvel und DC können auch anders, haben in der Vergangenheit mehrmals gezeigt, dass sie fähig sind, gute Geschichten zu erzählen, sowohl dramatische wie auch lustige. Nur sind das in meinen Augen nicht viele. Gerne erinnere ich mich an den ikonischen Actionkracher ‚The Punisher‘ von 1989 mit Dolph Lundgren in der Hauptrolle. ‚X-Men‘ berichtet in durchaus nachvollziehbarer Weise von den Problemen und dem Misstrauen zwischen Menschen und Mutanten. ‚Batman Begins‘ von Christopher Nolan erzählt die Geschichte vom Mann im Fledermauskostüm auf ein intensive, düstere Art, die einen vielschichtigen Antihelden präsentiert. Die schon erwähnten ‚Thor 3‘ und ‚Guardians of the Galaxy‘ sind in ihrem sympathischen Humor einsame Spitze. Aber das sind für mich auch schon alle Superheldenverfilmungen, die ich als wirklich hervorragend betrachte. Einige wie ‚Antman‘, ‚Logan‘, ‚Spider-Man: Into the Spider-Verse‘ (ein Animationsfilm), der erste ‚Avengers‘ und ‚Wonder Woman‘ sind fürs einmalige Anschauen ganz gut und unterhaltsam, obwohl zu guter Letzt nicht viel hängen bleibt. Über den Rest breite ich das rabenschwarze Tuch des Schweigens …

Aber was ist jetzt mit dem ‚Joker‘? Ums gleich vorweg zu sagen: Ich halte ihn für gut, ja sogar richtig großartig! Und das liegt an vielen Dingen. Vereinfacht gesagt macht er alles besser als die anderen Kinoerzeugnisse von Marvel und DC. Um das zu erklären, beginne ich am besten damit, welche Art von Geschichte erzählt wird. Es handelt sich um den Entstehungsmythos des titelgebenden Jokers (schmerzhaft intensiv gespielt von Joaquin Phoenix). Und schon hier zeigt sich, wie durchdacht das Drehbuch von Regisseur Todd Phillipps und Scott Silver geschrieben wurde. Anstelle dem Zuschauer einen Alibigrund wie einen alten Knochen hinzuwerfen, weshalb sich Arthur Fleck (so der weltliche Name des Jokers) vom Pfad der Tugend abwendet, wird klar gemacht, dass es ein banales Konzept wie Gut und Böse in diesem Film nicht gibt. Arthur ist seit seiner Kindheit schwer traumatisiert. Als Mittvierziger lebt er noch immer in der Wohnung seiner kranken Mutter, um die er sich kümmert. Einen Vater gibt es nicht, und so ist er es, der Geld verdienen muss, um mit seiner Mutter über die Runden zu kommen; ein unglücklicher Zustand, da Arthur ebenfalls alles andere als gesund ist. Er leidet daran, dass er oft komplett unpassend und an den falschen Stellen in ein manisches, gequältes, vor allem aber beängstigendes Lachen ausbricht. Diese verkörperte Auswirkung seiner traumatischen Kindheitserlebnisse zu sehen ist gleichzeitig peinlich, traurig und äußerst unangenehm. Irgendwo in diesen manischen Abgründen wurzelt auch seine Überzeugung, er habe Talent für große Comedy. So arbeitet er eher schlecht als recht bezahlt für eine schäbige Agentur, schwenkt als Clown verkleidet Werbeschilder auf der Straße oder unterhält Kinder im Spital. Ab und zu besucht er Comedyshows, notiert sich Witze und absolviert schon mal einen eigenen Auftritt in einem Club. Nur dass all diesen Tätigkeiten jede Leichtigkeit, Lebensfreude oder tatsächlicher Sinn für Humor fehlt. Hinter allem steckt ein schmerzhafter Zwang, den er selbst abends nicht ablegen kann. Denn dann schaut er sich regelmäßig gemeinsam mit seiner Mutter eine Fernsehshow des berühmten Talkmasters Murray Franklin (Robert De Niro) an, in dem Arthur eine Art Wunsch- oder Ersatzvater sieht.

Der zwar triste, aber doch einigermaßen geregelte Lauf des Lebens nimmt für Arthur und seine Mutter eine brutale Kehrtwende, als Arthur mit einer ausgeliehenen Pistole im Affekt einige finanziell sichtlich gut situierte Kerle in der U-Bahn erschießt, die eine junge Frau belästigen. Arthur in seiner Clownsmaske wird damit zum urbanen Rachemythos für die sozial Randständigen, was die allgemein angespannte Stimmung zwischen den gesellschaftlichen Klassen in Gotham City noch weiter anheizt. Im Zentrum all der Unzufriedenheit steht Thomas Wayne (Batmans Vater), der als reiches, unsympathisches Arschloch dargestellt wird. An diesem Punkt bricht Arthurs Welt, die ein ständiger Balanceakt zwischen Stabilität und Kollaps ist, vollends zusammen. Immer stärker wird er von seinen eigenen Ängsten, Zwängen und schließlich auch der Polizei vorwärtsgetrieben. Seine persönliche Sicht der Dinge und Wunschvorstellungen vermischen sich zunehmend mit real stattfindenden Geschehnissen – und das alles erzeugt einen grimmigen Abgrund, in dem sich auch der Zuschauer verliert. Was ist Realität? Was ist Arthurs Wunsch oder Wahn? Seine Handlungen werden immer unkontrollierter und gewalttätiger, eskalieren in einem Gewaltakt gegen seine Mutter, der ihn zu guter Letzt von ihren Fesseln befreit und es ihm erlaubt, sich neu zu erfinden. Wir erleben die Geburt des Jokers.

Die Entstehungsgeschichte des Jokers wird in einer städtischen Welt in Grau- und Brauntöten dargestellt, die mich ständig an Dramen und Krimis aus den 70er und frühen 80er Jahren (z.B. ‚Taxi Driver‘ von Martin Scorsese) erinnert, welche in den düsteren Ecken von New York spielen. Die Kamera guckt auf schmierige, richtig unangenehme Weise. Die Filmmusik erzeugt dazu eine permanente Anspannung, die nur selten gelockert wird und verspricht, dass jeden Moment etwas Schlimmes passieren wird. Sämtliche Menschen in dem Film wirken diffus, zuweilen verloren, so als lebten sie in dem Bereich zwischen Hammer und Amboss, wo man nur zerschlagen werden kann. Licht, Zuversicht oder wenigstens den Funken von Hoffnung gibt es in der Welt des Jokers nicht.

In der Vergangenheit habe ich zu diversen Comicverfilmungen gelesen, dass der Superheldenfilm endlich erwachsen geworden sei. Das war bei „Punisher“, „Batman Begins“ und „Logan“ eine etwas gewagte und nur zu Teilen wahre Aussage, wie ich finde. Aber auf „The Joker“ trifft die Feststellung das erste Mal wirklich zu. Auch wenn er ein richtig harter Brocken ist, kann ich den Film nur empfehlen!

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