Allgemein

Dies und das im Horrorland

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Dies und das 1 – Ich lese mich gerade voller Begeisterung durch ältere Romane von Robert R. McCammon, die Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre in der tollen, aber hässlich aufgemachten Horror-Reihe des Knaur Verlags erschienen. Da freut es mich um so mehr, dass am 30.09.2020 im Luzifer Verlag ein neuer Matthew Corbett Roman erscheinen wird: Matthew Corbett in den Fängen des Kraken.

Dies und das 2 – Zwielicht 14 ist erschienen! Wer noch Lesestoff für die anstehenden Ferien sucht, seien sie am Strand, in tiefstem Dschungel oder einfach nur im heimischen Garten, sollte zugreifen. Spannende phantastische Stunden sind garantiert.

Dies und das 3 – Vorgestern, am 03. July 2020, startete das diesjährige Filmfestival NIFFF, allerdings anders als in gewohnter Form. Über den schweizerischen Streamingdienst cinefile kann man sich Zugang zu zwanzige ausgewählten Filmen verschaffen, die ein Versuch sind, den dem NIFFF eigenen, speziellen Mix aus Horrorfilmen, Arthouse, asiatischem Kino und cineastischen Absurditäten wiederzugeben. Es ist eine kleine Auswahl, trotzdem befinden sich meiner Meinung nach einige äusserst vielversprechende Werke darunter. Informationen zu Programm und Kosten findet der Interessierte auf der Homepage der Veranstalter: NIFFF 2020.

Dies und das 4 – Verleger Ernst Wurdack plant für seinen Wurdack Verlag ein Phantastisches Magazin. Erste Infos für Leser, Autoren und Herausgeber finden sich auf seinem Facebookprofil.

Was zum Geier ist mit Horror eigentlich gemeint?

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Mit Horror ist das so eine Sache. Jeder weiß, dass es um Dinge geht, die einem an die Nieren gehen, die verdammt unangenehm sein können und schon mal dazu führen, dass man die Hände schützend vors Gesicht hält. Eine kurze Suche auf Google liefert folgende wenig aussagekräftige Ergebnisse: „Aus Erfahrung geborener Schrecken“ oder „Zustand, der durch etwas Erschreckendes hervorgerufen wird“. Das sind unbefriedigende Allgemeinplätze, die im Grunde genommen nur das Offensichtliche aussprechen. So wundert es nicht, dass die Frage nach der persönlichen Bedeutung von Horror immer wieder auftaucht, entweder in persönlichen Gesprächen, in Literatur- oder Filmforen, Interviews und etwas seltener in Artikeln. Und immer ist die Bandbreite an Meinungen, Erklärungen und Überzeugungen so zahlreich und bunt wie eine blühende Blumenwiese im Frühling. Die einen argumentieren, dass ein übernatürliches Element zwingend erforderlich ist. Andere sind überzeugt, dass es ganz einfach um Dinge geht, die Angst in uns erzeugen und uns mit den dunkelsten, abartigsten Seiten des Lebens konfrontieren. Und wieder andere beharren darauf, dass nur ein exzessives Blutvergießen die Bezeichnung „Horror“ tragen darf.

Seit Jahren kommen und gehen Momente, in denen mich diese Frage ebenfalls beschäftigt, obwohl ich einengende Schubladen wie Komödie, Thriller oder eben Horror gar nicht mag. Eine einfache Antwort indes fand ich nie. Trotzdem will ich in diesem Essay versuchen, meine persönliche Definition aufs virtuelle Papier zu bringen. Wer weiß … vielleicht überrasche ich mich ja selbst mit ein paar neuen Erkenntnissen.

Ausschlaggebend für mein aktuelles Sinnieren über die Bedeutung von Horror ist der Tod meines Vaters vor ein paar Tagen und sein langjähriger, unsagbar schmerzhafter Kampf gegen den Krebs. Wie intensiv und traurig ein solcher Kampf (viel passender: Realhorror) ebenfalls für die Familienangehörigen ist, versteht wohl jeder, der Ähnliches schon erlebt hat. Um eine Definition zu finden, macht es also möglicherweise Sinn, mir erst einmal Gedanken zu den Dingen zu machen, denen das Prädikat „Horror“ im Allgemeinen zugeschrieben wird. Auf der einen Seite finden sich Erzeugnisse der Kunst, des lustvollen Spielens mit grimmigen Ideen, während auf der anderen die finsteren Seiten des ganz gewöhnlichen Alltags auf unserem kleinen, blauen Planeten stehen.

In Bezug auf Filme, Romane, Hörspiele und andere Arten der Formgebung gibt es eine erstaunliche Menge an Spielplätzen, auf denen gespielt wird. Im Folgenden will ich einige dieser Plätze aufzeigen, die mir gerade spontan einfallen, zudem gibt es viele Fälle, in denen die Grenzen verschwinden. Die Aufzählung ist daher alles andere als komplett. Auch werde ich nicht tief in die einzelnen Subgenres eintauchen um sie zu analysieren, denn das würde den Rahmen dieses Artikels bei Weitem sprengen.

Da hätten wir beispielsweise die klassische, oftmals von christlichen Motiven geprägte Geistergeschichte, die auch im 21. Jahrhundert noch immer beliebt ist. Vermutlich bietet die zugrunde liegende Unterteilung in gute und böse Kräfte eine Form von Sicherheit im Angesicht einer Bedrohung. Entweder steht man auf der einen oder der anderen Seite – ein kompliziertes Dazwischen gibt es nicht. Die wiederkehrenden Rache-, Sühne- oder Erlösungsmotive bieten einen kulturell vertrauten Boden, auf dem man sich nicht gänzlich verlieren kann. Ich konnte wegen ihrer Vorhersehbarkeit nie viel mit der europäischen oder amerikanischen Geistergeschichte anfangen, allerdings liebe ich die japanische Variante, die so erfolgreich im Film „Ringu“ von Regisseur Hideo Nakata dargestellt wird. Zahlreiche asiatische Kopien dieses Meisterwerks haben leider ziemlich ernüchternd aufgezeigt, dass die Grenzen der Kreativität auch hier furchtbar schnell erreicht sind.

Während Geister meist eine spirituelle Bedrohung darstellen, geht es im Slashergenre weitaus körperlicher zu und her. Obwohl der Slasher wahrscheinlich nie wieder die Erfolge der 80er Jahre erreichen wird, gehört er zum regelmäßigen Gast im Horrorzirkus. Maskierte Mörder, das genüssliche Abschlachten einer Gruppe junger Leute, das Rätseln nach der Identität des oder der bösen Buben, Verfolgungsjagden in finsteren Wäldern, vorehelicher Sex, der bestraft werden muss, markante Mordinstrumente, die Jungfrau, die als einzige überlebt … So vielfältig die Werkzeuge in diesem Sandkasten auf den ersten Blick erscheinen, werden die geltenden Regeln viel zu oft mit religiösem Eifer eingehalten. Als Teenager hatte ich in den 80er Jahren eine Menge Spaß mit „Freitag der 13.“ und all den Ablegern. Als Erwachsener jedoch langweilen sie mich. Heutzutage erachte ich diejenigen Slasher als erfolgreich, die mit Konventionen spielen und Überraschungen auf Lager haben. Oft sind es kleine Veränderungen, die ein ganz anderes Erlebnis erzeugen, wie Adam Wingard in seinem Film „You’re next“ beweist. Er verändert die Dynamiken der Charaktere, und das nimmt dem Film die Vorhersehbarkeit, macht ihn frisch.

Ebenfalls im Hier und Jetzt angesiedelt sorgt Tierhorror dafür, dass wir uns beim Schwimmen oder einem Spaziergang im Wald beim leisesten Geräusch, dessen Ursprung wir nicht gleich identifizieren können, besorgt nach dem gesichtslosen Erzeuger umsehen. „Der weiße Hai“ vermiest seit Jahren Jung und Alt die Freude am Meer, „Backcountry“ macht deutlich, dass die leidenschaftliche Umarmung eines Bären ungesund ist, während der Roman „Cujo“ von Stephen King unmissverständlich erklärt, dass mit tollwütigen Hunden nicht gut Kirschen essen ist. In richtig gut gelungenen Fällen des Tierhorrors wird die Natur zum existenzialistischen Spiegel, in dem Protagonisten (sowie Leser bzw. Zuschauer) etwas über sich selbst erfahren können.

Kommen wir zu zwei meiner persönlichen Favoriten: Bodyhorror und psychologischer Horror. Im Grunde genommen handelt es sich hierbei um die beiden Seiten der selben Münze. Sie erzeugen Angst vor unserem eigenen mutierenden, sich verändernden Körper oder eben Geist, dem wir nicht länger trauen können. Was gibt es schon Schlimmeres, als wenn wir uns vor uns selbst fürchten müssen, weil wir nicht länger die volle Kontrolle über unser Denken und Handeln haben und unserer Wahrnehmung nicht länger trauen können? Was, wenn wir nicht mehr als Zuschauer in unserem eigenen Kopf sind? Lang leben Schaffende wie David Cronenberg, David Lynch und Shin’ya Tsukamoto. Ihr habt mir viele grauenerregende, tiefgründige Alpträume beschert.

Oftmals etwas weniger tiefgründig geht es im Reich der Monster zu und her. Klassiker wie Dracula und Frankenstein kennen wohl viele aus unzähligen Variationen. Was den Einfallsreichtum der Schaffenden in diesem Subgenre betrifft, kennt die Fantasie aber wahrlich keine Grenzen. Durch Radioaktivität erzeugte Zombies, schuppige Kreaturen der Tiefsee, mutierte Tiere oder Menschen, außerirdisches Sternengezücht auf Nahrungssuche, Godzilla und King Kong, tentakelbewehrte, sabbernde Wüstlinge, die Zenobiten von Clive Barker, aus Laboren ausgebüxte Mutanten mit Lust auf Frischfleisch und so viele mehr machen die Leben gewöhnlicher Bürger zuweilen unerträglich. Mit Monstern im weitesten Sinne habe ich meist viel Spaß, aber es braucht schon Jahrhundertwerke wie „Hellraiser“ oder „Alien“, damit ich mich zu fürchten beginne.

Der Autor H. P. Lovecraft schuf mit seinem literarischen Werk vor über 100 Jahren das Subgenre des kosmischen Horrors, dem der Mensch nichts entgegenzusetzen hat. Die Protagonisten werden in Lovecrafts Geschichten zu bloßen Zeugen mit nur scheinbaren Handlungsmöglichkeiten reduziert. Sie verfallen langsam aber sicher dem Wahnsinn, während sie ein entdecktes Mysterium zu verstehen versuchen. Das Grauen aus einer anderen Welt ist für Menschen nicht verständlich, es fehlen durchschaubare Motivationen und Absichten, und so gebiert totales Unverständnis Horror, nackten Wahnsinn und schließlich Tod. Während ich H. P. Lovecrafts Schreibstil und seine Charaktere nicht wirklich mag, fasziniert mich das Konzept seines Werkes ungemein. Wie eine geschätzte Million literarische und filmische Ableger bis zum heutigen Tag zeigen, geht es vielen anderen kreativen Köpfen genauso, die sich den kosmischen Horror als Spielplatz ausgesucht haben. Zumindest für eine Weile, bis sie ihre eigene Stimme finden.

Nun beenden wir unseren Ausflug in die Weiten des Kosmos, kehren zurück und landen in den dunklen, feuchten Kellern des Tortureporn. Ein Subgenre, das Folter, Ekel und eine oftmals misogyne Grundhaltung zu meist nichts anderem als reinem Selbstzweck zelebriert. Ich kann verstehen, dass es sich wie ein Härtetest anfühlen mag, sich mit einem solchen Werk zu befassen. Aber wenn ich Meinungen lese, in denen Käufer ein Buch „geil“ finden, weil Frauen gefoltert und dann zerstückelt werden, dann kommt bei mir die eine oder andere Frage auf. Ist das alles, was das Buch oder der Film bietet? Oder ist der Leser bzw. Zuschauer nur empfänglich für Grobschlächtigkeiten und hat die Story nicht verstanden? Ist da überhaupt eine Geschichte? Und was bitteschön hat das noch mit Kunst zu tun? Wird hier ein Medium nur noch missbraucht, um die niedersten Triebe zu befriedigen und Geld damit zu verdienen, weil es gerade en vogue ist? Falls ich mich nicht klar genug ausgedrückt habe: Meiner Meinung nach sollte man die Erschaffer solchen Schrotts in ihre eigenen Geschichten stecken und dort vergessen.

Über all diesen fiktiven, erdachten Welten steht das, was wir gemeinhin als Realität oder das echte Leben bezeichnen. Und auch hier finden sich Geschehnisse und Dinge, die wir ohne auch nur eine Sekunde zu zögern als nackten Horror bezeichnen. Kriege, Hungersnot, weltweite Pandemien (wie aktuell die Covid-19 Krise), schwere körperliche und geistige Krankheiten, der Tod von geliebten Personen, unsere persönlichen Ängste, Arbeitslosigkeit und so vieles mehr, das uns schweißtreibendes Grauen beschert. Wo finden sich Schnittpunkte zwischen der Realität und den Erzeugnissen von Bildhauern, Autoren, Regisseuren und Malern? Schließlich muss es solche geben, denn das Leben beeinflusst die Kunst und diese wiederum das Leben. Wo begegnen sich Schein und Sein? Und verbirgt sich hier irgendwo eine Antwort auf die Frage, was Horror nun wirklich ist?

An dieser Stelle ließ ich das Essay einige Tage liegen, weil mir einfach nichts einfallen wollte, das mir genügend interessant erschien, um es aufzuschreiben. Aber heute Abend, während ich den Text abermals las, dazu eine Pizza Piccante aß und nachdachte, fiel der Groschen endlich.

Reduziert man die Subgenres sowie den realen Horror auf ihre innerste Essenz, so stößt man unweigerlich (etwas pragmatisch ausgedrückt) auf Reise und Krieg – wie bei Homers „Odyssee“ und „Illias“. Ein langer, harter Weg muss beschritten, eine unmögliche Schlacht geschlagen werden. Es geht also um Veränderung, genauer: um eine unkontrollierbar erscheinende Veränderung, die uns aufgezwungen wird und die unser Leben bedroht. Und weil wir uns beim Lesen bzw. Filme gucken in der Handlung oder den Charakteren gespiegelt sehen, erleben wir beim Genuss dieser Medien die Sinneseindrücke von Horror. Der Mensch liebt stabile Zustände, sie bedeuten Sicherheit, Gesundheit, Leben. Nimmt man ihm die Stabilität und bedroht damit seine Existenz, dann entsteht das Gefühl, das wir so leichtfertig als Horror bezeichnen. Es ist die Notwendigkeit, auch im Angesicht des tiefsten aller Abgründe weitermachen zu müssen. Es ist nichts anderes als eine Liebeserklärung an das Leben, an die Natur, an den Zustand des Seins im ständig drohenden Angesicht des Nichtseins.

Horror … was für ein unglücklicher Begriff. Einerseits umfasst er viel zu viele Dinge, ist andererseits auch abhängig von der Person, die ihn erlebt oder eben nicht erlebt. Nicht jeder fürchtet sich vor den gleichen Dingen. Was wir erleben, welche Proben wir meistern oder wo im Leben wir scheitern … all das prägt uns, gibt oder nimmt uns Sicherheit in allen möglichen Situationen. In jeder Sekunde verändern wir uns, ob wir das nun wollen oder nicht. Um wirklich sinnvolle Diskussionen über Romane, Filme, Hörspiele, Bilder oder das Leben selbst zu führen, müssen wir uns von so unpräzisen Begriffen wie „Horror“ lösen und anders zu kommunizieren beginnen. Wir können das. Ich weiß es. Und jetzt ist fertig lustig! Ich will mein Dessert. Gute Nacht euch allen.

Ein Hoch auf die Müllkäuze

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Was zur Hölle ist ein Müllkauz? Und woher stammt diese sonderbare Kreatur? Bestimmt nicht aus Zamonien, dem Märchen-Kontinent, in dem die Geschichten von Walter Moers spielen. Wo wir gerade bei Moers sind (ich schweife schon früh ab) … falls Du, lieber Leser, ihn noch nicht kennst, dann besorge dir seine Comics, die vom Leben und Leiden des kleinen Arschlochs oder dem Fönig handeln. Außerdem noch viel wichtiger, ja sogar als die heiligste Mission eines jeden beherzten Liebhabers der Phantastik, musst Du besagte zamonische Geschichten lesen, wie etwa „Rumo“, „Die 13,5 Leben des Käpt’n Blaubär“, „Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr“ und all die anderen. Ich selbst habe wegen der Worte, die ich soeben niederschrieb, eine Pause eingelegt um nach dem Buch „Der Schrecksenmeister“ zu greifen, das seit langem im Bücherregal harrt und sich nach einer Menschenhand sehnt, die seine Seiten liebevoll umblättert.

Zurück zu den Müllkäuzen. Es war weder das Werk der Evolution noch das eines Autors, welches diese Lebewesen in die Welt rief, sondern die zuweilen verblüffend spontane Kreativität von Kindern. Das erste Mal nämlich, als ich mit Freunden ganz bewusst eines jener Wesen erblickte, war in den weit zurückliegenden Anfangstagen meiner Schulzeit. In der Ortschaft, in der ich seit damals lebe, gab und gibt es in jeder Dekade zwei oder drei uralte Männer, die nichts mit der geregelten Müllentsorgung zu tun haben, aber trotzdem den lieben langen Tag an den Straßen, Wegen und (fast) geheimen Pfaden entlang pilgern, um die Ränder von Müll zu säubern. In unserer kindlichen Phantasie handelte es sich ausnahmslos um vor sich hinmurmelnde Sonderlinge mit Käfern in den struppigen Bärten und einem blinden Auge, die – wenn man gerade nicht hinsah – kleine Kinder mit Haut und Haar in ihre Mülltüte stopften, des Nachts kichernd durch die Ortschaft schlichen und grundsätzlich dafür verantwortlich waren, wenn Haustiere auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Wir waren sicher, dass diese Greise in alten, zerfallenen Hütten im Herzen des Waldes lebten, in ihren feuchten, moosbewachsenen Kellern abgemagerte Hunde hielten und schon mal Katzen mit Steinen totschlugen, wenn ihnen langweilig war. Aus welchem Grund sie Straßenränder von zerbrochenen Flaschen, Zigarettenstummeln und Chipsverpackungen säuberten machte irgendwie keinen Sinn, befeuerte in unserer Vorstellung aber noch die finsteren Absichten, die jene offensichtlich wahnsinnigen Gestalten eben antrieben.

Wer aus meinem damaligen Freundeskreis diese Männer zum ersten Mal mit einem einzigen prägnanten Wort beschrieb, weiß ich nach über 35 Jahren auch nicht mehr, aber irgendwann war die Bezeichnung einfach da: die Müllkäuze. Lange dachte ich nicht mehr bewusst an sie. Als ich vor kurzem aber während eines Spaziergangs wieder einmal einem begegnete, kamen wir ins Gespräch und die Wahrheit (wie sollte es auch anders sein) gestaltete sich als so ganz anders als die wilden Spekulationen von einst. Und gleich vorweg: es leben keine Käfer im Bart eines Müllkauzes.

Im Grunde genommen zeigt sich hier ein Problem, über das gesellschaftlich viel zu wenig gesprochen wird: was macht man nach der Pension? Wenn man sein liebes Leben lang nur schuftet, sich nie Zeit nimmt um zu reflektieren und sich zu fragen, was man denn so anstellen will, wenn man plötzlich alle Zeit der Welt zur Verfügung hat, dann tauchen unter Umständen einige Schwierigkeiten auf. Da wäre der Mangel einer sinngebenden Tätigkeit, nach der wir uns (bewusst oder unbewusst) alle sehnen. Damit zusammenhängend bestehen weniger soziale Kontakte, zumal einem mit dem Älterwerden unabwendbar Freunde und Familienmitglieder wegsterben. Eine von außen kommende und regulierende Tagesstruktur, die dafür sorgt, dass man aktiv und damit Teil der Welt bleibt, fehlt komplett. Und hier kommt das Einsammeln von Müll ins Spiel. Auf so einfache und doch elegante Weise verbindet es all die oben genannten Schwierigkeiten. Man geht früh morgens aus dem Haus, bewegt sich, tut etwas Sinnvolles für die Umwelt, trifft hin und wieder Menschen, mit denen man einen Schwatz halten kann, und sorgt dafür, dass man Ablenkung und eine grundlegende Form von Zufriedenheit findet. Nur wird das leider selten erkannt und auch geschätzt, viel öfter geschieht es, dass Passanten belustigt die Augen verdrehen.

In diesem Sinne: ein Hoch auf die Müllkäuze, die unentgeltlich viel zur Sauberkeit der Straßen beitragen. Wenn Ihr mal einem in eurer Ortschaft begegnet, dann riskiert die Kontaktaufnahme. Vielleicht ergibt sich auch für euch ein interessantes Gespräch.

Neues Lesefutter von Clive Barker

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Es dauert stets lange, bis von Horror-Poet Clive Barker Lebenszeichen zu sehen bzw. zu lesen sind. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber nicht etwa um eine neue Erzählung, sondern um die geplante Veröffentlichung zweier alter Novellen, die in einem Buch vereint sein werden: TORTURED SOULS (2001) und INFERNAL PARADE (2004). Die beiden Texte schrieb Barker zu zwei Serien von Action-Figuren, an denen er in kreativen und schöpferischen Belangen beteiligt war.

Inhaltsangabe (Quelle: Buchheim Verlag):
TORTURED SOULS erzählt von der legendären ersten Stadt Primordium, in der das uralte Wesen Agonistes seine Bittsteller durch Magie und Schmerzen einer bizarren, qualvollen Transformation unterzieht.
INFERNAL PARADE berichtet von dem verurteilten Verbrecher Tom Requiem, der die titelgebende Höllen-Parade zur mythischen Stadt Krantica anführt.
Elegant komponiert und witzig erzählt sind beide Geschichten typische Werke des visionären Künstlers und modernen Meisters Clive Barker.

Das Buch wird voraussichtlich im Februar 2020 im noch jungen Buchheim Verlag erscheinen, der sich innerhalb der Horror-Szene einen guten Namen mit hochwertigen, schön bebilderten Büchern erarbeiten konnte. Vorbestellungen können bereits jetzt im Online-Shop des Festa Verlags getätigt werden. Einziger Wermutstropfen: die meiner Meinung nach verachtenswerte Limitierung (999 Stück) und der dadurch entstehende hohe Preis von rund 37 Euro für ca. 180 Seiten (darüber, dass bei Limitierungen das Sucht- und Sammelverhalten von Menschen kalkuliert ausgenutzt wird, habe ich in „Der Abo-Wahn greift um sich“ schon ausführlich geschrieben).

Über einen Sekundäreffekt von Limitierungen, der unbedingt von Verlagsbetreibern beachtet werden sollte, schrieb ich damals noch nicht. Daher hole ich das jetzt nach: Limitationen limitieren gleichzeitig die Möglichkeit, dass ein Autor einen größeren Bekanntheitsgrad erreichen kann. Wenn man sich mal vor Augen hält, was alles dazugehört, damit ein Autor sich gut verkauft, bekannt wird und über Jahre hinweg hochwertige Literatur produziert, dann erscheint es vergleichsweise einfach, eine Rakete ins All zu schießen. Eine gute Geschichte muss es sein, die viele Leser anspricht und einen gewissen Zeitgeist trifft. Werbung hilft massiv. Ein Buch muss an allen möglichen Orten aufliegen, damit möglichst viele Leute es überhaupt erst zu Gesicht bekommen. Positive Reviews müssen in großer Menge publiziert werden. Bei all dem dürfen Motivation und Kreativität des Autors nie abbrechen, denn heute gibt es einen solchen Überfluss an Veröffentlichungen, dass man sehr schnell vergessen wird. Am besten sollte eine Erzählung als Print, Ebook und Audiobook erscheinen, und wenn dann auch ein Hörspiel produziert wird … umso besser. All diese komplexen, vor allem aber über weite Strecken unberechenbaren Dinge können nicht garantieren, dass ein Roman zum Bestseller und der Autor zu einem bekannten Autor wird.

Um beim Vergleich mit der Rakete, die ins All geschossen wird, zu bleiben: Wenn ein Verlag auf Limitierungen setzt, dann ist das in etwa so, als ob man entscheidet, die Rakete nur mit halbvollem Tank zu starten. Verlage wie Festa, Edition Phantasia oder eben Buchheim sabotieren sich dabei aber nicht selbst, denn es gibt ja genügend Fans, die ihre limitierten und signierten Bücher selbst für die haarsträubendsten Preise kaufen. Sie sabotieren auf lange Sicht den Künstler. Eine winzige Auflage trägt nichts dazu bei, dass neue Leser gefunden werden können (das Geld, das ein Autor für 1000 verkaufte Exemplare erhält, ist kaum ein Monatslohn). Limitierung hilft vor allem dem Verlag und bedient den Fan. Damit mich niemand falsch versteht: Grundsätzlich schätze ich die oben genannten Verlage. Sie haben einiges in der Szene bewirkt und ich besitze zwangsläufig viele ihrer oft teuren Veröffentlichungen. Aber jedes Mal, wenn ich ein limitiertes Buch erstehe, ist da ein bitterer Nachgeschmack mit dabei. Ich muss unnötig viel Geld ausgeben, das Buch steht nach der Lektüre jahrelang im Regal und verstaubt, ich kann meinen Kumpels nicht davon erzählen, weil es längst vergriffen ist, und zu all dem geht der Großteil des Geldes nicht einmal an den Künstler, der es eigentlich verdient hätte.

Falls du, lieber Leser, Clive Barker noch nicht kennst, jetzt aber neugierig geworden bist und etwas von ihm lesen willst, dann schlage ich folgendes vor: Verzichte auf TORTURED SOULS und INFERNAL PARADE. Kaufe dir anstelle dessen die folgenden beiden Bücher von ihm: CABAL und GEWEBTE WELT als Taschenbuchausgabe der Edition Phantasia. Diese beiden Titel sind im normalen Buchhandel oder bei jedem Onlineversand erhältlich, kosten zusammen in etwa so viel wie das neue Buch mit den beiden Novellen und bieten auf über 900 Seiten unvergessliche Horrorlektüre. Und wenn du dann richtig scharf auf Barker geworden bist, besorge dir die sechs BÜCHER DES BLUTES (Kurzgeschichten), DAS HAUS DER VERSCHWUNDENEN JAHRE (zur Zeit nur antiquarisch erhältlich) und all die anderen Werke dieses Ausnahmekünstlers. Du wirst es nicht bereuen.

Meine 3-Punkte-Regel

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Schon vor Jahren begann ich mich zu fragen, wie ich eigentlich darüber entscheide, ob ich ein Buch als gelungen oder als vertane Chance betrachte. Instinktiv weiß jeder/jede, was ihm/ihr gefällt oder nicht, aber dieses Empfinden etwas detaillierter auszudrücken, ist oft nicht einfach. Immerhin stellt ein Buch eine Art Spiegel dar, in dessen Geschichte man eigene Erfahrungen und Gedanken wortwörtlich spiegelt – das kann verwirrend, wenn nicht sogar aufwühlend oder gar rätselhaft sein. Der Leser versetzt sich sozusagen selbst in die Geschichte, was den Spiegelneuronen in unserem Gehirn Futter gibt und eine Art von Lernprozess entfacht (als Einstiegslektüre zum Thema der Spiegelneuronen kann ich Joachim Bauers Sachbuch „Warum ich fühle, was du fühlst“ empfehlen). Nach langjähriger Übung, Eingeständnissen an mich selbst und etlichen Diskussionen mit Freunden, Bekannten und Unbekannten (z.B. in Foren) kann ich eine Geschichte immer besser in ihre Einzelteile zerpflücken und herausfinden, was mir gefällt und was nicht.

Trifft man allerdings einen Bekannten und will sich beispielsweise während der kurzen Zugfahrt zur Arbeit ein wenig über „Wilde Schafsjagd“ von Haruki Murakami unterhalten, kann man niemandem einen Monolog von der Länge einer Präsidentschaftsrede zumuten. Daher kam ich irgendwann auf eine vereinfachte Version meiner vielen Gedankengänge zu Büchern, die auf drei zu bewertenden Punkten beruht: meine persönliche 3-Punkte-Regel für die Literatur. Diese drei Hauptthemen, um es etwas treffender auszudrücken, stellen eine komprimierte und zusammengefasste Form vieler Ideen und Gedanken dar. Empfinde ich nur einen Punkt als gelungen, fällt das Buch bei mir komplett durch. Bücher, die in zwei Punkten auftrumpfen, halte ich für lesenswert. Hat der Autor sogar in allen drei Punkten mein Wohlwollen gefunden, dann halte ich gerade ein Kleinod in Händen, das ich nie wieder vergessen werde.

Und das wären die drei zu beurteilenden Punkte:

Nummer 1: Das Werkzeug oder besser gesagt Sprache und Stil des Autors. Ist das Werkzeug schlecht, dann transportiert es die Inhalte ebenfalls schlecht. Stellen Sie sich ein Steakmesser vor, dessen Klinge stumpf ist. Das zerstört den Genuss des besten Steaks, weil es schnell kalt wird und Sie noch immer keinen Bissen im Mund haben.

Nummer 2: Die eigentliche Geschichte. Interessiert Sie die Geschichte nicht, dann lassen Sie sich auch nicht voll und ganz darauf ein, Sie sind gedanklich nicht bei der Sache und kriegen nur die Hälfte mit.

Nummer 3: Die Charaktere. Sie erlauben es uns, in ihre Haut zu schlüpfen. Je einfacher dieser Prozess ist, desto schneller erleben wir die Geschichte mit und leiden und lieben mit den Figuren. Schwieriger wird es in der Science Fiction bei Außerirdischen, aber wenn der Autor seine Werkzeuge im Griff hat, dann meistert er auch diese Herausforderung.

Wie der Titel dieses Artikels schon sagt, handelt es sich hierbei lediglich um eine persönliche Beobachtung an mir selbst. Probieren Sie die 3-Punkte-Regel ruhig einmal aus, möglicherweise bereitet es Ihnen Spaß und Sie stellen Fragen an einen Roman, die Sie vorher nicht gestellt haben. Das kann manchmal ganz ernüchternd sein, ist aber immer interessant und sorgt für Überraschungen.

FESTA geht einen Schritt zu weit

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In meinem vorletzten Artikel (Der Abo-Wahn greift um sich) hatte ich geschrieben, dass es mich ärgert, dass die Ausgaben der FESTA-Sammleredition oft zu haarsträubenden Preisen verkauft werden, nachdem die knappen Auflagen vergriffen sind. Das war in der Vergangenheit etwas, das man dem FESTA-Verlag nicht direkt ankreiden konnte, denn die Verkäufer waren und sind private Personen, die sich mehrere Ausgaben beschaffen mit dem einen Zweck, diese überteuert an Sammler zu verkaufen. Im neuesten Newsletter weist das Team um Frank Festa aber deutlich darauf hin, dass die Bücher wertvoll sind und später mit guten Gewinnen weiterverkauft werden können. Es ist diese Schamlosigkeit, die mich anwidert, denn es geht eindeutig nicht mehr darum, einen spannenden oder intelligenten Beitrag zur Kultur zu liefern, sondern sammel- und kaufsüchtige Abo-Kunden heranzuzüchten, die einen regelmässigen Geldfluss garantieren.

Ähnlich fragwürdig geht es leider in der sehr coolen FESTA-Reihe „Pulp Legends“ zu, von der im Moment noch Einzelausgaben erstanden werden können. Zwangsläufig werde ich mir die eine oder andere interessante Ausgabe für viel Geld sichern, denn tatsächlich befinden sich kleine Perlen darunter. Allerdings bin ich überzeugt, dass auch diese auf 999 Stück limitierte Reihe schon bald nur noch im Abo zu beziehen sein wird. Wahrscheinlich noch nicht dieses Jahr, aber 2020 oder 2021 könnte das durchaus geschehen.

Vergegenwärtigen wir uns an dieser Stelle doch einmal, was der Begriff Pulp-Literatur bedeutet. Er bezieht sich auf die Pulp-Magazine der 30er bis 50er Jahre, welche die Genres Fantasy, Horror und Science Fiction bedienten. Diese Magazine erhielten die Bezeichnung „Pulps“ wegen des billigen Materials (Papier mit hohem Holzgehalt), aus dem sie hergestellt wurden. Es handelte sich also um nichts anderes als unterhaltsame Literatur für den kleinen Preis, Groschenromane oder -magazine, Geschichten, die sich jeder leisten konnte. Die Romane, die FESTA in dieser Reihe veröffentlicht, stammen aus den 70er bis 90er Jahren, wurden damals aber trotzdem für einen normalen Preis verkauft. Es wäre ehrlich und der Unterstützung würdig, brächte FESTA diese Romane als normale Taschenbuch-Reihe auf den Markt. Ohne den ganzen Sammler- und Raritätenbullshit. Aber die Idee, daraus eine teure, limitierte Sammelreihe zu machen, hat nichts mehr mit Liebe zur Literatur oder zum Genre zu tun. Es ist ein aktuelles Geschäftsmodell, wie es sich leider immer mehr verbreitet. Aber so viel muss ich dem FESTA-Team lassen: sie haben es verdammt gut im Griff, sich einen treuen Kundenstamm zu erschaffen. Ob man die Art und Weise, wie das geschieht, gut findet, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich persönlich bin enttäuscht.